Im Faltboot auf der Elbe von Torgau bis Magdeburg

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21. Mai 2016

Mal sehen ob ich’s ohne Sehnenscheidenentzündung bis zur Elbe schaffe. Da meine größte Angst ist, auf dem Fluss hungern zu müssen, macht die Verpflegung im Ortliebsack den Bootswagen so schwer, dass ich schon nach hundert Metern Ziehen die Hände wechseln muss.

 Sechs Tage will ich die Elbe stromabwärts fahren, von Torgau bis hoffentlich Magdeburg. Ca. 200 Kilometer. Zum ersten Mal seit den 90er Jahren transportiere ich das Faltboot mit der Bahn, diesmal allerdings nicht zu viert, wie auf meinen ersten Touren in den Masuren, sondern allein. 22 Kilo Boot + 3 Kilo Verpflegung und auf dem Rücken 15 Kilo Ausrüstung. Ich bin für jeden Aufzug und jede Rolltreppe dankbar.

Auf der Fahrt über Leipzig nach Torgau zieht der Bootskarren reichlich Aufmerksamkeit auf sich. Die Radfahrer freuen sich mal nicht die Sperrigsten im Zug zu sein, als die Schaffnerin mich entnervt anherrscht, dass der … Rolli nicht die Tür verstellen dürfe! Gottseidank bin ich früh losgefahren. Im normalen Wochenendverkehr hätte ich keinen Platz gefunden.
In Torgau bringt mich ein kurzer Spaziergang durch den Park zur Elbe. Vorbei am sowjetischen Soldatenfriedhof. Hier, wo sich Rote Armee und Amerikaner „die Hand reichten“ baue ich das Boot zusammen, bekomme geradeso alles im schmalen Einerkajak unter treffe ein nettes sächsisches Paar, das hier seine Tour im Kanu beginnt und mir beim Reintragen hilft.

Die Elbe schwemmt mich sofort davon. Man braucht im Grunde kaum zu paddeln und kann sich wunderbar entspannen. Große Raubvögel kreisen über der offenen Uferlandschaft, lassen sich in der Termik treiben. Ich treibe im Fluss, paddle ein paar Kilometer, treibe weiter. Ein Kirchturm ragt halb über die Uferböschung. Das Wasser steht nicht besonders hoch, da es lange nicht geregnet hat, so liefen zwischen den Steinbunen aus der Kaiserzeit Sandbänke frei, auf denen Reiher, Störche, Enten und Krähen in der Sonne sitzen. Das Wetter ist herrlich. Haufenwolken ziehen über den diesigen Frühsommerhimmel und ich treibe bis der Fluss das Boot einmal um sich selbst gedreht hat und ich rückwärts treibe.

Angler Allerorts. Wollen ihre Ruhe, ich auch. So fahre ich bis hinter Pretzsch, wo die Ufer unbewohnt und weglos sind. 33 Kilometer liegen hinter mir. Kein schlechter Start. Auf einer weit ausufernden Sandbank höre ich irgendwo hinter mir einen Kuckuck und sehe zwei Sonnen vor mir stehen. Eine im Himmel und eine im Fluss

22. Mai 2016

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Vollmondnacht

Das dumpf-verquollene Erwachen im von der Sonne aufgeheizten Zelt. Dabei ist die Luft draußen ziemlich kühl. Ich tauch kurz in die Elbe, mache mein Frühstück aus Haferbrei, Stulle mit Käse und Tomaten und natürlich Kaffee. Der Morgen ist herrlich und nach den ersten Paddelschlägen ist die Morgendiesigkeit weg.

Unheimlich viele große Raubvögel hocken auf den Ufersandbänken und fliegen zu siebent, acht auf wenn ich um die Ecke gebogen komme. Dann ziehen sie in sicherer Entfernung lange Kreise über mir.

In Elster halte ich kurz um mir vom Kanuverein Trinkwasser zu holen. Schon bekannter Lommentar beim Anblick meines Hutes. „Ähn rischtscha Cowboy bist du ja!“ Wie man um sich vor Regen und Sonne zu schützen etwas anderes als breitkrempige Hüte tragen kann habe ich nie verstanden. Aber gut. Gott seis gelobt, es gibt hier Bier. Wandert ins Boot. „Kannst oh‘ glei hioh noh ähns trink’n!“ Ich winke dankend ab, denn dann würde ich bei der Hitze gar keinen Paddelschlag mehr tun. Lasse mich so schon oft genug vom Fluss treiben.

Ein alter Mann fragt mich, wohin und woher. Von Torgau. Ah, und heute los? Nee nee, sage ich, gestern. Darauf er, sind ja nur 50 Kilometer. Mh, nicke ich und denke daran, dass gerade mal Mittag ist. Und letztlich will ich bis Magdeburg, versuche ich von meinem schwachen Tagesschnitt abzulenken. Ah, und wann, fragt er. Morgen? Sind achtzig Kilometer. Ne Tagestour! Diese zähen alten Typen der Nachkriegsgeneration!

Heute ist Sonntag und fast jede Sandbucht ist von Familien besetzt. Von den Männern gibt es meist einen langen Blick, der zu sagen scheint, Ich grüß dich nicht zuerst! Und tatsächlich, nickt man kurz, wird knapp zurück genickt. Die Kinder sind fast ausnahmslos fasziniert von diesem Typen, der da in seinem Boot den Fluss langtigert. Sie winken fast immer. Undd erst wenn ich zurück winke, können sie zufrieden weiter buddeln oder ihren Hund zausen.

Wittenberg. Home of Protestantismus. Außer den Türmen der Stadt, die über die Uferböschung ragen, sehe ich nicht viel von der Lutherstadt. Am Ortsende dann noch eine rote Lutherfigur. Aus der DDR-Zeit?

Am anderen Ufer ist Landschaftsschutzgebiet. Die Typen von der Naturwacht haben ihren Dienstwagen auf dem Deich geparkt und angeln erstmal im Schutzgebiet. Ich habe eine schöne schotterige Halbinsel gefunden, die, wie ich gerade merke immer wenn ein vorbeifahrender Schlepper große Welken macht, zur Insel wird. Mal sehen wie’s das Zelt in der Mitte der Insel übersteht. Morgen soll’s gewittern. Ich hol mal Feuerholz und mach mein Ur-Köstritzer auf.

 

23. Mai 2016

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Die Grasschneidemaschinen der Biosphärenreservatsarbeiter sägen mich aus dem Schlaf. Wie ein Schwarm verärgerter Wespen dröhnen sie mir noch eine Weile nach während ich bald darauf Richtung Vockerode weitertreibe. Später erfahre ich, dass die Nacht aufladet Sandinsel mich hätte 5000€ Strafe kosten können, da ich mich scheinbar schon die ganze Zeit im Biosphärenreservat befinde. Fast genüsslich erzählt mir ein strammer Herr im Bootsclub Dessau, dass die Polizei einmal einen Paddler erst in Ruhe sein Zelt habe aufbauen lassen, dann sei sie zum Abkassieren vorgefahren und habe ihn danach wieder alles abbauen lassen. Gut zu wissen. Für später.

Hinter Vockerode die Autobahnbrücke der A9 mit dem düsteren eckigen Turm am Brückenende. Jedesmal wenn ich auf einer Konzert-Tour Richtung Süden Turm und Brücke passiere, schaue ich kurz auf die Elbe und hoffe, irgendwann mal zwischen den idyllischen Sandbuchten langpaddeln zu können. Diesmal bin ich unten auf dem Wasser und sehe dem Verkehr beim Vorbeifahren zu.

Junkers Paddelgemeinschaft Dessau. Ich treffe zwei junge Damen an und frage, ob ich Wasser bekommen könne. Leicht irritiert fragen sie, ob ich nicht sonst noch etwas anderes wolle. Nun ist es an mir, irritiert zu sein. Versucht, ihre Frage nicht misszudeuten frage ich zurück, was es denn noch anderes gäbe. Na Unterkunft, Getränke, Duschen … Scheinbar hat hier noch keiner allein wegen Trinkwasser angelegt. Duschen ist keine schlechte Idee, da die Elbe heute morgen einen leichten Ölfilm hatte. Mit mahnendem Blick zeigt mir eine der beiden die Duschen. Gerade geputzt! Ich verspreche, sie nicht zu verdrecken.

Brambach, Rietzmeck, Aken. Teilweise durch die Kernzone des Naturschutzgebietes verlaufend liegt die Elbe spiegelglatt und malerisch da. Am Ufer alte knorrige Eichen, Wurzelwerk wie verschlungene Arme, dazwischen abgestorbene Bäume wie Denkmale ihrer selbst … eine Ahnung von Wildnis, ein paar Flusskilometer lang. Und überall der Ruf des Kuckucks.

In Aken übernachte ich im Bootshaus des Köthener Kanuclubs. Mein Boot wird durch eine elektrische Schleppe den steilen Hang hinaufgezogen. Schick! Kein Mensch hier außer ein paar Rentnern in ihren Campingwagen. Wasserwanderer gäbe es kaum noch, erzählt der weißhaarige Bottsclubwart. Zu DDR Zeiten wurde viel gepaddelt, jetzt fehle der Nachwuchs. Innen im Bootshaus fühle ich mich komplett in die Ostzeit zurück versetzt. Küchenschränke voller Mitropa-Geschirr und knallgelbe Plastikdessertschalen made in GDR. An den Wänden des Clubraums humoristisch altbackene Wandbemalungen mit Paddelszenarien aus den 60er Jahren. Man merkt, dass dieser aus der Zeit gefallene Ort nur noch ausatmet. Irgendwann wird niemand mehr da sein, der den Verein weiterführt.

Regen und Donner. Gut heute nicht im Zelt zu schlafen. Vielleicht spare ich gerade 5000€.

24. Mai 2016

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Es nieselt den ganzen Morgen schon. Packe trotzdem schonmal das Boot auf meinen Wagen, denn heute stellt sich heraus, dass niemand vor Ort ist um mich per elektrische Schleppe wieder den Hang runter zu fahren. Ein älterer Herr kommt aus dem nahen Köthen zum Bootshaus geschlurft. Na, Klepper?, fragt er mit Blick auf mein Boot. Nee, Nautiraid. Ah, kommentiert er knapp, kennich nich. Is’n Französisches, erkläre ich. Nicken seinerseits. Ob er denn auch fahre. Naja nee, schon seita Wende nich mehr. Berufsverletzung. Er zeigt mir kurz ein großes Pflaster unterhalb der Schulter. Und wohin er früher so gefahren sei, will ich wissen. Daraufhin schenkt er mir einen Blick wie einem Dorfidioten: Na wohin habe man schon fahren können! Der Ehrenvorsitzende des Vereins, leider nun auch schon tot, sei in den 50ern noch nach Schweden gefahren! Aha, staune ich, das sei also bis zum Mauerbau noch gegangen? Schon, nickt er, aber organisiert. Und die Hälfte der Truppe musste rot sein, haha! Wir lachen beide. Der Vorsitzende habe damals ein Kupferwerk gehabt, den hätten sie auch allein gelassen, der hatte hier zu viel, der würde schon zurückkommen, da war’n die sicher. Wir schauen beide eine Weile in den Nieselregen. Naja, setzt er dann wieder an, er selbst hätte ja sechsundachtzig auch drüben bleiben können als er auf Besuch bei der Tante war. Ich frage, ob das nicht ne Versuchung gewesen sei. Er guckt mich an. Nee. Wird überall nur mit Wasser gekocht. Da drüben sei auch alles nur Gold gewesen was glänzt. Nur Gold, denke ich, nicht schlecht. Duisburg sei das gewesen, da seien damals schon die Schächte dichtgemacht worden und der Onkel arbeitslos. Er schaut mich an. Wenn du in Laden gehen willst musste Geld auf’n Tisch legen. Und wenn de Geld willst musste Arbeit haben. Außerdem habe er ja hier auch was aufgebaut gehabt. Zwar nur Kraftfahrer, aber mit Kranschein. Er lächelt knapp. Zu meinem Chef konntich sagen, mach dein Scheiss alleene! Hättich drüben nich können. Hätteste dafür hier nich auch was auf’n Deckel gekricht, will ich wissen. Na nee, lacht er, die brauchten mich doch! War doch immer Mangel.

Später schaue ich mit einem ehemaligen Polizisten zum gegenüberliegenden Nationalparkufer, wo ein Seeadler am Sandufer gelandet ist. Hier guck mal! Der Polizist reicht mir sein Fernglas. Ein Riesenfiech! Ich frage ihn, was denn sonst noch für Tiere unterwegs seien. Wir ham hier alles mögliche! Wildschweine, Rehböcke, massenhaft Milane (Endlich weiß ich, welche Vögel es waren, die ich in so großen Gruppen gesehen habe), ein Wolf soll gesehen worden sein, aber weiß! Ähnmal ein Schafswidder! Weiß mit schwarzn Kopp! Der ist irgendwo gestiftet!

Es regnet sich ein. Sieht so aus als wäre heute mein Ruhetag. Statt später im Regen im Zelt zu liegen, bleibe ich lieber hier im Bootshaus. Vielleicht fahre ich am Nachmittag weiter. Vielleicht nicht. Schönes Leben ohne Zeitdruck.

25. Mai 2016

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Stadtgrenze Magdeburg

Oh it feels good to be Out In The Open again.  Schön die eigenen Songs zitieren zu können, wenn es so zutreffend ist wie heute. Der wetterbedingte Faulenzertag im Bootshaus Köthen hat mich fett und bräsig gemacht. Gut, heute wieder unterwegs zu sein.

Um acht Uhr lege ich ab. Leider bleibt die Sonne hinter der hermetischen Wolkendecke versiegelt, aber der gestrige starke Wind ist etwas abgeflaut. In der Biosphärenkernzone ist kein menschliches Geräusch zu vernehmen. Die Vögel lärmen dafür um so mehr: pfeifen, zwitschern, rufen, piepsen was das Zeug hält. Paarungszeit. Niemand will zu kurz kommen. Zwei Kuckucks rufen sich über den Fluss hinweg zu, welches Fremdnest sich am besten zur Eiablage eignet.  Hier und da muss ich mit Gegenwind kämpfen. Trotzdem komme ich heute deutlich schneller voran als während der sonnigen Tage, an denen ich mich eher im Boot zurückgelehnt habe, denn ich bin gezwungen zu paddeln um vorwärts zu kommen.

Am frühen Nachmittag sehe ich in der Entfernung die Türme des Magdeburger Doms. Ein paar Kilometer und zwei Brücken später fahre ich an dem düsteren mittelalterlichen Koloss vorbei und mitten durch die Magdeburger Innenstadt. Ein paar Stellen haben Steine flach unter der Wasseroberfläche. Man muss sie seitlich umfahren, sich durch die schnellere Strömung und kleinen Strudel schlängeln. Nur ein paar Minuten, dann liegt die Stadt schon wieder hinter mir und ein grässliches Industriegebiet später umgeben mich wieder grünes Ufer und Sandbuchten. Wie anders man die Stadt vom Fluss aus wahrnimmt. Meine erste Begegnung mit Magdeburg waren sich ewig ziehende DDR-Neubauten beim Reinfahren mit dem Auto. Davon sehe ich hier gar nichts. Die dröhnende A2 und die Schifffahrtskanalbrücke lasse ich ebenfalls hinter mir und nach heutigen 64 Kilometern schlage ich mein Lager 30 Kilometer vor meinem Endziel Bittkau auf. Ein Feuerloch im Sand, der Abend verglimmt in der Glut.

26. Mai 2016

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Abends nahe der Elbe

Heute lasse ich die morgentliche Haferflockenkocherei ausfallen und begnüge mich mit Dinkelschokokeksen, denn gegen Mittag lockt bereits eine fette Ankunftsmalzeit in Bittkau. Die Sonne tut ihr bestes, um sich gdurch die Wolkendecke zu kämpfen, aber letztlich bleibt der Tag bedeckt. Ruhiges Paddeln, unbebautes Ufer, ein paar Gierfähren. ich genieße die letzten Kilometer. Nach einer endlos meandernden S-Schleife erreiche ich Bittkau bei Kilometer 372. Zwischen hier und meinem Startpunkt Torgau liegen 232 Kilometer Fluss. Nicht der Yukon, nicht die Ardeche, aber Stille und Wildnis. Schön, so etwas in Deutschland noch zu finden.

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